Routine. Routine? Routine!

» gepostet am Datum20.03.07 um Zeit09:51 Uhr

Am Samstag war ich zum ersten Mal hier krank. Schon morgens Übelkeit verspürt, bis Mittags im Bett gelegen, Schweißausbrüche, Schwindelanfälle, schwarz vor Augen. "Das ist die Malaria", denkt man, da man ja immer vom positivsten ausgeht. Malaria war es dann aber doch keine, eher irgendein lokales Gericht, das mir nicht so bekommen sein muss; auch wenn ich noch nicht wirklich herausgefunden habe, was es war. Blöderweise war für den Samstagabend die Geburtstagsparty des "Enquirer" angesetzt, der sein zweijähriges Bestehen feierte. Im "Boomerang", einem Nachtclub, der sonst 100.000 Cedi Eintritt kostet. Das ist für mich dann leider ausgefallen. Aber vielleicht bietet sich ja nochmal die Gelegenheit. Beim zwei-ein-achtel-jährigen Jubiläum, oder so.

Davon abgesehen stellt sich hier langsam Routine ein. Ich kenne die wichtigsten Orte und Plätze, weiß, wie ich hinkomme, kenne die Hauptmahlzeiten und Snacks und weiß, wie und wo ich auch mal was europäischeres zu Essen bekomme, esse täglich mindestens ein Yogo und besuche bestimmt viermal die Woche Comfort, den Inhaber einer Chop Bar hier in der Nähe. Eine Chop Bar ist so viel wie ein Fast-Food-Restaurant, wenn auch der Begriff "Restaurant" sehr wohlwollend gewählt ist.

Es gibt auch kaum noch etwas ungewohntes, das einen aus den europäischen Fugen reißen könnte, man hat sich an alles gewöhnt, nimmt Lärm und Dreck schon gar nicht mehr so wahr, antwortet auf "Wo ho te sen?" mit "Eye" und auf "How?" mit "Fine!", winkt freundlich bei "Obroni!"-Rufen und freut sich aber auch, wenn einen mal alle in Ruhe lassen. Alles ist irgendwie Alltag geworden, ich mache mir auch keine großartigen Gedanken mehr über Kulturen oder Unterschiede und Lebensarten, man lebt eben hier, eine Zeitlang zumindest, alles ist normal.

Gestern war ich in einem Creche, einer Art Kindergarten, nur mit anderem Namen. Einige Mädels aus dem Praktikawelten-Haus arbeiten dort und ich hab mir überlegt, was über die Arbeit dort und den Creche allgemein zu schreiben, also mit Kamera, Blatt Papier und Kuli los, in einen Kindergarten mit 100 schwarzen Kleinkindern, die selten einen Weißen, geschweige denn rote Haare gesehen haben. Aber insgesamt wars doch ganz witzig, schöne Fotos sind bei rausgekommen und vielleicht auch ein ganz guter Artikel, man wird sehen.

Später am gestrigen Nachmittag haben hier bei uns in der Umgebung ein paar Fußballer gegeneinander gespielt, soweit ich das verstanden hab, keine Vereinsspieler, nur hobbymäßig. Trotzdem lohnt es sich immer, sich hier ein Fußballspiel anzusehen, und wenn ich das als Fußballatheist sage, will das schon was heißen. Hier spielen sich alle die Seele aus dem Leib, der Torwart der einen Mannschaft war behindert und konnte seinen rechten Fuß nicht aufsetzen; und trotzdem hat er gespielt, als gäbe es nichts anderes. Und auch die anderen Spieler und sowieso fast alle Ghanaer sind unheimlich schnell, muskulös und trainiert, was allerdings weniger vom Fitnessstudio, als von der harten Arbeit kommt.

Eigentlich könnte ich hier permanent irgendwas machen, es fehlt nur teilweise an der Motivation, die durch die scheinbar immer größer werdende Hitze permanent erdrückt wird. Ich müsste mal zum Labadi Beach, meinen Security-Ausweis abholen, den mir der Chief of Security dort ausgestellt hat, damit der weiße Mann für umsonst an den Strand kommt, mit Emile wollte ich diese Woche mal ins Kino, abends wollte ich mal zum Independence Square, um zu fotografieren, nach Tema wollte ich irgendwann nochmal, um Mark, den Tema-Korrespondenten vom Enquirer, zu besuchen, die Fanmilk-Fabrik, die das leckere FanYogo hersellt, wollte ich besichtigen, aber ob und wie das geht, steht noch in den Sternen. Am Wochenende ist Fußball angesagt, das Team vom Enquirer spielt gegen das Team vom "Daily Graphic" und einige andere Teams aus Zeitung und Radio. Ich hab mich als Torwart angeboten, wo das enden soll und wird, weiß ich noch nicht, aber interessant wirds auf alle Fälle.

Bevor ich hierher gekommen bin, hatte ich mir überlegt, ob man hier nicht das Gefühl hätte, irgendetwas zu verpassen. Die Technik zuhause, oder das Weltgeschehen, irgendwelche Entwicklungen, das moderne Leben, also, dass es hier irgendwie langweilig wäre. Dem ist allerdings überhaupt nicht so, eher das Gegenteil ist der Fall. Dadurch, dass hier eigentlich jeder auf der Straße unterwegs ist, weil sowieso ein Großteil auf der Straße lebt und arbeitet, ist immer und überall was los, auf jeden Fall deutlich mehr als in Pforzheim an jedem Samstagmorgen. Und auch sonst habe ich überhaupt nicht das Gefühl, irgendetwas zu verpassen, selbst wenn Russland heute den USA den Krieg erklären würde, die meisten Menschen hier würden es wahrscheinlich nicht einmal mitbekommen, und warum auch. Ghana ist zeitlos, im Moment zumindest, vielleicht wird sich das ändern, doch ich erlebe es als zeitlos. Die Zeit steht still, gewissermaßen, Zeit ist bedeutungslos, oder zumindest: bedeutungsarm. Eigentlich könnte ich meine Armbanduhr auch zuhause lassen, denn wenn es heiß ist, muss es Mittag sein, und wenn es dunkel wird, ist irgendwie Abend, das reicht meistens auch schon. Meine Uhr werde ich trotzdem nicht ablegen, sie ist noch das letzte Aufbäumen gegen den ghanaischen Lebensstil, mein europäisches Relikt in einem zeitlosen, afrikanischen Universum. Und nein, ich hab nicht zu viel "Boss" getrunken. Schließlich ist gerade mal 08:29 Uhr, als ich diesen Eintrag schreibe. Aber was hat die Zeit schon für eine Bedeutung.





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