Ein Tag wie eine Woche

» gepostet am Datum21.03.07 um Zeit12:05 Uhr

Länger als acht Uhr kann man hier eigentlich sowieso nicht schlafen, spätestens dann ist es viel zu heiß. Angeblich ist auch mal bis 10 Uhr drin, ich hab da aber noch nicht geschafft. Und so stehe ich um acht Uhr auf, schmiere mir zwei Brote mit Nutella-Ersatz, esse selbige, sitze auf der "Terrasse", überlege, was der Tag so bringen könnte.

Erstmal ins Internet, zu Rizzi, ins Angus-Internetcafe. Warum heißt das eigentlich Angus, wo er doch Rizzi heißt? Fragen über Fragen. Mit Rizzi hab ich mich letztens sowieso blamiert. Als ich auf dem Heimweg war, hielt neben mir ein roter Dreier-BMW, der Fahrer hupte, " da will mir einer was verkaufen", dachte ich, öffnete die Beifahrertür, schaute rein, wen sehe ich? Nabosco, den DJ aus dem Oldtimers! Nach zehn Minuten stellt sich dann heraus, dass er gar nicht Nabosco ist, sondern Rizzi, aber das ist auch nicht einfach hier. Wenn man einen Schwarzen beschreiben will, könnte das eigentlich so aussehen: Mittelgroß, schwarze, kurze Haare, dunkle Haut, braune Augen. Dann hat man echt ein Problem. Das Problem vergrößert sich bei Nach natürlich noch einmal ungemein, aber auch daran gewöhnt man sich, wenn auch langsam.

Nach meinem Besuch im Internetcafe beschließe ich, zur Arbeit zu gehen, schließlich ist heute Dienstag und kein Grund ersichtlich, nicht arbeiten zu gehen. In der Redaktion angekommen, fällt mir direkt die erste Neuerung auf: Wir haben einen Fernseher. Relativ groß und grau, mit riesiger Antenne, steht er da und strahlt mit schlechter Qualität "Metro Movies" aus, einen ghanaischen Sender, der nur Filme zeigt. Gerade läuft "Tomb Raider" mit Angelina Jolie und ich tausche mich mit Reporter Benjamin über sie und ihre Scheidung von Brad aus und was für ein guter Mensch sie ist, "no bad news about her in the media", meint Benjamin, "jaja", meine ich.

Danach ist plötzlich Hektik. Gut, natürlich ist keine Hektik, aber Egypt kommt auf mich zu und fragt, wo meine Kamera ist. Egypt ist ein weiterer Reporter, 30 Jahre, verheiratet, hat ein sieben Monate altes Baby. Kamera habe ich zuhause gelassen, sage ich, egal, meint er, gibt es eben keine Fotos, aber wir gehen jetzt zu einer Pressekonferenz. Cool, denke ich, Pressekonferenz, wie im Bundestag, in einem schicken Gebäude mit Tausenden von Stühlen und Fernsehen und Beleuchtung und Hunderten Mikrofonen. Gut, ganz so wird es wahrscheinlich nicht sein, aber mal sehen.

Zwanzig Minuten später sitze ich mit etwa 70 anderen Journalisten aus Zeitung, Radio und Fernsehen im Vorhof eines Hotels unter einer Art Gartenzelt auf Plastik-Gartenstühlen und höre einem Männlein vom NDC, dem National Democratic Congress, zu, wie es sich in zwei Mikrofon hinein darüber aufregt, dass die Wahlen im Norden nicht ganz rechtmäßig abgelaufen seien. Zwei Kameraleute sind da, einer hat eine Sony-Handycam, wie man sie bei uns in den Urlaub mitnehmen würde, der andere hat eine richtig große Kamera, das sieht schon richtig fernsehenmäßig aus. Über ein paar Lautsprecher wird das Männlein verstärkt. Am Eingang mussten Egypt und ich uns in eine Liste eintragen, mit Namen und Medienhaus. Kein Personalausweis, kein Presseausweis, keine Security. Und doch ist irgendwie alles wie bei uns. Nachdem das Männlein fertig ist, dürfen fragen gestellt werden, man steht auf, sagt, wer man ist, von welcher Zeitung, und stellt die Frage. Teilweise gerissene Fragen, die das Publikum zum Lachen bringen, es herrscht lockere Atmosphäre. Nach einer Stunde ist alles vorbei.

Ich bin mit Egypt auf dem Weg zur Redaktion zurück, er muss einen Anruf tätigen, an einer sogenannten Space-to-Space-Station, das ist eine Art kleines Holzregal, wo ein Festnetztelefon draufsteht, und für geringes Geld kann man von dort überallhin telefonieren. Während Egypt telefoniert, genehmige ich mir für 2500 Cedi nebenan eine Kokosnuss. Der Verkäufer schneidet sie oben auf, ich trinke den Saft, gebe sie ihm zurück, er schlägt sie auf, schlägt ein kleines Stückchen aus der Schale, mit dem ich das Kokosfleisch herauskratzen kann. Dann ist Egypt fertig, doch auch er nimmt noch eine Kokosnuss.

Danach geht es weiter, in Richtung Redaktion, doch nur langsam, Egypt sucht nach einer speziellen Babynahrung, die niemand zu haben scheint. Als wir an einem kleinen Essensstand vorbeikommen, hält er an, er fragt mich, ob ich Bohnen mit frittierten Kochbananen mag, ich habe keine Ahnung, er kauft zwei Portionen, dann geht es kurz in eine Art Grafikbüro. Egypts Mutter ist im Januar gestorben, hier hat er eine Broschüre für die Beerdigung anfertigen lassen. Willy ist der Chef des Büros, er fragt mich, woher, und wie, und überhaupt. Ich muss ihm erzählen, wie eine Zeitung in Deutschland aussieht, was unsere Druckmaschinen leisten, "man, you could earn a lot of money with such a system here", sagt er, ich zweifle nicht daran.

Schließlich in der Redaktion angekommen, gibt es Bohnen mit frittierten Kochbananen. Ich frage Egypt, ob das Gericht einen besonderen Namen hat, "Its called Red-Red", antwortet er, wäre das also auch geklärt. Es schmeckt gar nicht schlecht. Die Bohnen ziemlich langweilig, die frittierten Kochbananen ein wenig wie die Nachspeise beim Chinesen. Nur der Honig fehlt. Neben mir isst der Chefredakteur, Mr. Ouso, Banku mit Palmnut Soup. Er fragt mich, ob es solche Gerichte auch in Deutschland gibt, ich verstehe nur Bahnhof, er wiederholt es, ich verstehe wieder nichts, so geht das noch ein paar Mal hin und her, dann schließlich kann ich "Nein, ich glaube nicht" antworten. Mr. Ouso meint, das ich dorthin gehen müsste, wo viele Ghanaer wohnen, Berlin, Frankfurt, da würde ich auch Banku bekommen, ich bin ihm dankbar für den Rat, "jaja, mache ich dann mal", sage ich.

Nach dem Essen frage ich Godfred, ob es möglich wäre, dass ich einmal die Fanmilk-Produktionsstätte besichtigen könnte, die Firma, die Yogo, FanIce und die ganzen leckeren Sachen herstellt. Klar, das ginge, wir müssten nur mal dort anrufen, machen wir das am Donnerstag. Irgendwie habe ich das Gefühl, hier ist nichts unmöglich, man kann sich alles mal ansehen, mit jedem reden, wo man bei uns erst Pässe, Ausweise, Berechtigungen braucht. Danach muss ich die Redaktion verlassen, ich bin mit Italy am Labadi Beach verabredet, er will mir meinen Eintritt-Frei-Ausweis aushändigen.

Italy ist 30 und Moslem. Er ist "chief of security" am Labadi Beach, und wir sitzen in einer Strandbar, ich trinke Gordons Spark, eine Mischung aus Gin und Fruchtsaft, er trinkt Ananassaft, Alkohol trinkt er nicht. Tagsüber arbeitet Italy am Strand, nachts als Handytechniker, "Im not a lazy man", sagt er. Er surft auch gerne und will sich bald einen Laptop kaufen. Viel mehr weiß ich von Italy nicht, doch am Samstag soll ich wieder zum Strand kommen, dann wird ein neues Getränk vorgestellt, ein Bier-Mixgetränk aus Holland, meint er.

Vom Strand wieder zuhause angekommen, ist Fußball angesagt. Ghana gegen Togo, allerdings nicht die Nationalmannschaften, sondern U17, das Halbfinale vom Afrika-Cup. Es steht 1:1, Anas liegt auf dem Teppichboden in seinem Häuschen, mit Boxershorts bekleidet, sein Bankubauch ragt ein wenig hervor, "pass the ball!", ruft er. Fast schon deutsch. In der 91. Minute schießt Togo ein Tor, Ghana ist raus, Anas enttäuscht. Aber das Leben geht weiter.

Mittlerweile ist es 6 Uhr, langsam dämmert es schon. Ich habe Hunger und rufe Comfort an, wie fast immer, wenn ich Hunger habe. Comfort ist der Inhaber einer Chop Bar unweit von hier, und er hilft mir mit Pommes und Spaghetti, meinen verwöhnten, europäischen Magen zu befriedigen. Ich bestelle Spaghetti, um viertel vor 7 soll ich kommen und das Essen abholen.

Als ich bei Comfort ankomme, ist es bereits dunkel, das Essen aber noch nicht fertig. Macht aber nichts. Nach etwa zehn Minuten kommt Komfort raus, stellt mein Essen auf den Tisch. In einer weißen Plastiktüte. Ich habe hier noch nie eine weiße Plastiktüte gesehen, normalerweise sind alle Plastiktüten hier schwarz, was die Antwort "In der schwarzen Tüte!" auf die Frage "Wo im Kühlschrank sind denn die Tomaten?" bei dutzenden schwarzen Tüten im Kühlschrank völlig absurd macht.

Komfort setzt sich zu mir, fragt, wie lange ich noch bleibe, wann ich gehe. Am neunten Mai, sage ich. "Neunter Mai?", fragt er. Er kennt das Datum. Heute vor drei Jahren geschah ein schlimmer Unfall im Fußballstadion in Accra. Es gibt einen engen, kleinen, langen Tunnel, der ins Stadion führt, den einige Fans wohl dazu benutzen, um sich kostenlos Spiele ansehen zu können. An diesem Tag war der Ausgang des Tunnels, der ins Stadion führt, jedoch blockiert. Doch im Tunnel befanden sich bereits hunderte Ghanaer, und als der erste am versperrten Ausgang ankam, war kein Weiterkommen, doch von hinten wurde weiter gedrückt, die Nachricht kam nicht durch, es wurde weiter gedrückt, die Menschen im Tunnel starben. Während all dieser Panik versprühte die Polizei ein Gas, das einige Menschen bewusstlos machte. So lagen sie auf den Tribünen, niemand kümmerte sich um sie, sie wurden totgetrampelt. Comfort wäre beinahe zu dem Spiel gegangen, hat sich dann aber kurzfristig um entschieden, sich drei Maiskolben gekauft, das Spiel zuhause im Fernsehen angeschaut. Sein Bruder war im Stadion. Als Comfort sah, was im Stadion los war, rief er in auf dem Handy an. Doch sein Bruder war bereits tot. Ein Polizist nahm sein Handy ab, "He is dead", war alles, was Comfort hörte. Es war sein einziger Bruder. Comfort ist schon 38, seit drei Jahren hat er seine Chop Bar, er will sie vergrößern, doch das braucht alles seine Zeit, "small-small", sagt er, "small steps", bestätige ich.

Eine Stunde später sitze ich im Tro-Tro, genieße die nächtliche Atmosphäre von Accra und die "Serk! Serk! Serk!"-Rufe des Mates. Abends ist nicht mehr so viel los, es wird relativ früh schlafen gegangen, mit mir sitzen gerade mal zwei Leute im Tro-Tro. Am Circle angekommen überquere ich zwei Straße und stehe an der Barclays Bank, meinem favorisierten Treffpunkt für alle Gelegenheiten. Ein Glück, dass ich weiß bin, einen Schwarzen würde ich hier nicht wiedererkennen, aber Emile erkennt mich sofort, er trägt einen weißes, gefälschtes Ronaldo-Trikot mit Siemens-Schriftzug vorne drauf. Keine Ahnung, was wir machen wollen, aber irgendetwas unternehmen, nicht immer schon um neun, zehn ins Bett gehen. Ich schlage vor, uns ein paar Spots anzusehen, Emile ist einverstanden.

Nachdem wir erst in eine Billardbar gehen wollte, diese aber mit zwei Euro Eintritt und einem weiteren Euro fürs Billard als purer Luxus abgestempelt wird, verschlägt es uns als erstes in den "Obra Spot" direkt am Circle, großzügig angelegt, open air, es gibt sogar einen vorsintflutlichen Billardtisch mit noch vorsintflutlicheren Kugeln. Dennoch ist er besetzt, und wir setzen uns an einen Tisch, Emile trinkt alkoholfreies Guiness Malta, ich einen Star Beer "Boss". Er erzählt mir, dass er am Samstag einen Auftritt hat, als Trommler, irgendwo nahe einem Krankenhaus. Von 14 afrikanischen Nationen sollen je 6-14 Künstler auftreten, dazu soll es aus jedem Land ein typisches Essen geben. Klingt interessant.

Emile interessiert sich für Webdesign, er hat schon Frontpage gelernt und auch Word und Excel und Access. Und Corel Draw. Webdesign mag er wirklich. Und Journalismus. "I want to bring the web and journalism together", erklärt er. "Gather information from the people and publish it on the web" verkündet er. Faszinierend. Eigentlich genau das, was ich auch mache und vorhabe. Davon abgesehen will er mal eine weiße Freundin haben. Das sollte nicht zu schwer werden, sage ich ihm, er ist noch skeptisch, wir werden sehen. Nachdem ich mein Star und er sein Malta ausgetrunken haben, geht es weiter, Richtung Danquah Circle.

Der nächste Spot heißt "Bus Stop", eine kleine Veranda mit Tischen, angeblich eine "Pool Bar", Pooltische sehe ich allerdings keine. Ich trinke ein Gordons Spark, Emile bleibt beim Malta. Es geht um Musik und afrikanische Frisuren, nicht lange, wir bezahlen, weiter geht es zu Fuß in Richtung Danquah Circle und Osu, das Luxusviertel von Accra. Weit und breit kein Spot zu sehen, ich schlage vor, ein Taxi nach Osu zu nehmen, Emile ist einverstanden. Das Taxi kostet gerade mal 10.000, aber es ist auch nicht mehr so weit.

Osu besteht hauptsächlich aus einer Hauptstraße, die vom Koala Market bis zum Papaye Fastfood-Restaurant reicht. Der Koalamarkt bietet alles an, was das europäische Herz begehrt, eigentlich hat Osu generell alles, was dem Europäer zuhause fehlen könnte: Chinesen, europäisches Fastfood wie Chicken und Burger, ein Steakhouse, diverse Restaurants.

Emile will Waakye essen, aber wir finden keines, so setzen wir uns in einen Spot gegenüber vom Papaye-Fastfood-Restaurant. Unweit von uns an einem anderen Tisch sitzen ein paar Rastas. Und eine weiße Frau, Anfang 30, blonde Haare, hinten zu einem Mini-Zopf zusammengebunden. Als "Ganja Farmer" aus den Boxen des Spots ertönt, sind die Rastas nicht mehr zu halten, sie springen auf und bewegen sich mehr oder weniger rhythmisch zur Musik, dabei heben sie die Hände, als wollten sie Jah preisen. Auch die weiße Frau bewegt sich zur Musik, dabei allerdings eher weniger rhythmisch. Ein Rasta schmeißt sich trotzdem an sie ran, doch sie ist gefeit, zeigt ihm den Ehering an ihrer Hand, er versteht. Fünf Minuten sind sie am Rumknutschen. Macht aber nichts, ich weiß sowieso nicht, wer die Frau geheiratet hat. Und eigentlich will ich es auch gar nicht wissen.

Nachdem ich per Taxi für 7.500 Cedi heimgefahren bin und an meinen Internetbesuch am Morgen denke, kommt es mir vor, als sei eine Woche vergangen. Die Tage hier sind unheimlich lang, was einmal daran liegt, dass man schon um acht fast gezwungen ist, aufzustehen, andererseits daran, dass man meistens unheimlich viel unternimmt. Fernsehen gibt es nicht, Internet nur selten, man geht eben auf die Straße, schaut, was dort los ist, geht arbeiten, unterhält sich mit Ghanaern über Gott und die Welt, wobei doch lieber über die Welt, über Gott kommt man als schwacher Atheist nicht weit.

Ich bin am Überlegen, ob ich heute Mittag Banku essen soll. Diesen großen, schleimigen Kloß, der in einer seltsamen Soße schwimmt. Das ist ein wenig wie mit den Mäusen und den Mausefallen. Nach jedem Banku denke ich, eigentlich schmeckt es mir doch nicht, ich sollte es nicht mehr essen. Und dann esse ich es doch wieder. Wie die Mäuse, die immer wieder in die Mausefalle tappen. Glaube ich zumindest. Ich tappe jedenfalls in die Bankufalle. Jedes Mal.





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